13. Juli 2025: „Unser“. Ein Gedanke zur Vaterunser-Reihe
Jesus hätte sagen können: „Mein Vater im Himmel.“ Doch er wählte bewusst „unser“. Dieses kleine Wort ist ein Donnerschlag. Es sprengt die Grenzen einzelner Frömmigkeit und schafft etwas Neues: eine Gebetsgemeinschaft, die alle Grenzen überschreitet.
Zweiter Gedankengang zur Vaterunser-Reihe:
„Zwischen Himmel und Herz“
Sonntagsweite am 13. Juli 2025
Das revolutionäre „Unser“ – Eine meditative Predigt über die Gemeinschaft im Gebet
Das revolutionäre „Unser“ – Eine meditative Predigt über die Gemeinschaft im Gebet
Ein unsichtbarer Chor umspannt die Erde
Stellen Sie sich vor: Gerade jetzt, während Sie diese Worte lesen, sprechen Menschen überall auf der Welt dieselben Worte – in hunderten Sprachen, in stillen Zimmern und lauten Kirchen, in Freude und Verzweiflung. „Vater unser…“ Ein unsichtbarer Chor umspannt die Erde, und Sie sind mittendrin.
Das erste Wort nach „Vater“ ist kein Zufall. Es ist eine Einladung in eine Gemeinschaft, die größer ist als alles, was wir uns vorstellen können.
Ein kleines Wort verändert alles
In der Sprache Jesu hieß es „Abun“ – unser Vater. Nicht „Abi“ – mein Vater. Jesus hätte sagen können: „Mein Vater im Himmel.“ So beteten viele Menschen damals. So beten viele Menschen heute. Doch er wählte bewusst „unser“. Dieses kleine Wort ist ein Donnerschlag. Es sprengt die Grenzen einzelner Frömmigkeit und schafft etwas Neues: eine Gebetsgemeinschaft, die alle Grenzen überschreitet.
Das „Unser“ steht am Anfang und prägt alle folgenden Bitten. Wir bitten um unser Brot, unsere Vergebung, unseren Schutz. Wir sind, ob wir wollen oder nicht, miteinander verbunden.
Medizin für die Seele
Das „Unser“ wirkt wie Medizin für die Seele. Es durchbricht dieses Gefühl, ganz allein mit allem dazustehen. Wenn Sie das nächste Mal beten, können Sie sich fragen: Wer in meinem Leben würde verstehen, was ich durchmache? Diese Art zu denken öffnet Türen zu Hilfe, die das einsame „Ich“ gar nicht sieht.
Das „Unser“ weckt etwas Uraltes in uns. Es verbindet uns mit uralten Erfahrungen von Geborgenheit und Zugehörigkeit. Körper und Seele entspannen sich, wenn wir spüren: Ich bin nicht allein.
Verbunden mit allem Leben
Das „Unser“ im Vaterunser öffnet unseren Blick für eine Wahrheit, die größer ist als wir selbst: Wir sind Teil eines lebendigen Netzes, das alle Geschöpfe umspannt. Wenn wir „unser tägliches Brot“ erbitten, sprechen wir nicht nur für uns Menschen. Wir bitten für alle Lebewesen, die Nahrung brauchen – für die Tiere, die Pflanzen, für die ganze Schöpfung, die nach Leben dürstet.
Diese Verbindung ist real und konkret. Das Brot, um das wir bitten, wächst aus der Erde. Die Luft, die wir atmen, schenken uns die Bäume. Das Wasser, das unseren Körper nährt, fließt durch alle Kreisläufe des Lebens. Wenn wir „Vater unser“ beten, erkennen wir an: Wir sind Geschwister nicht nur untereinander, sondern Geschwister aller Geschöpfe unter dem einen Himmel.
Das „Unser“ macht uns zu Anwälten des Lebens. Wer so betet, kann nicht gleichgültig bleiben gegenüber dem Leiden der Schöpfung. Das Gebet verbindet uns mit der Verantwortung für die Welt, die uns anvertraut ist.
Eine zeitlose Weisheit
Das „Unser“ findet erstaunliche Entsprechungen in anderen Glaubensrichtungen. Buddhisten sprechen von der „Verbundenheit“ aller Lebewesen. Der hinduistische Gruß „Namaste“ bedeutet: „Das Göttliche in mir grüßt das Göttliche in dir.“ Im Islam verbindet die Umma, die Gemeinschaft der Gläubigen, Menschen über alle Kontinente.
Auch die Natur lehrt uns diese Wahrheit: In einem Wald sind alle Bäume durch unterirdische Pilzgeflechte miteinander verbunden. Was einem schadet, spüren alle anderen. Was einem hilft, kommt allen zugute.
Eine Einladung zum Spüren
Wie fühlt es sich an, wenn Sie das nächste Mal „Vater unser“ sagen? Können Sie kurz innehalten und spüren, dass Sie nicht allein sprechen? Dass gerade jetzt Menschen in allen Zeitzonen diese Worte mit Ihnen teilen – und mit Ihnen alle Geschöpfe, die nach Leben und Heilung suchen?
Vielleicht wird Beten so zu etwas Neuem: Statt einer einsamen Bitte wird es zum Mitsingen in einem weltweiten Chor der Hoffnung. Ihre persönlichen Sorgen bleiben wichtig, aber sie werden eingebettet in die große Melodie menschlicher Sehnsucht und kosmischer Verbundenheit.
Hier in der Klinik wird das „Unser“ besonders greifbar. Die Frau im Zimmer nebenan, die nicht schlafen kann. Der Mann am Ende des Flurs, der auf eine schwere Diagnose wartet. Wenn Sie „Vater unser“ beten, schließen Sie alle ein. Ihr Gebet umfasst die ganze Schöpfung, auch wenn Sie sich dessen nicht bewusst sind.
Leben Sie es bewusst
Das „Unser“ im Vaterunser ist weniger Antwort als Frage: Wie würde sich unser Leben ändern, wenn wir wirklich verstünden, dass wir alle verbunden sind – nicht nur mit anderen Menschen, sondern mit allem Leben? Wie würden wir handeln, lieben, verzeihen, wenn wir spürten, dass das Wohl des anderen – sei es Mensch, Tier oder Pflanze – mit unserem eigenen verknüpft ist?
Dieses Bewusstsein verändert unseren Blick auf die Welt. Plötzlich wird klar: Wenn wir die Erde verletzen, verletzen wir uns selbst. Wenn wir für die Schöpfung sorgen, sorgen wir für unsere eigene Zukunft. Das „Unser“ macht uns zu Hütern und Geschwistern zugleich.
Rund um den Globus, 24 Stunden am Tag, steigt dieses Gebet empor – aus menschlichen Herzen, aber auch aus dem stummen Sehnen aller Kreatur nach Heil und Vollendung. Sie sind Teil davon. Sie waren es schon immer. Die Frage ist nur: Werden Sie es bewusst leben?
In diesem Bewusstsein unserer Verbundenheit mit allem Leben beginnt jedes echte Gebet – und vielleicht auch jede echte Heilung.
SONNTAGSWEITE –
MORGENGEBET
Gott, während die Welt erwacht und der neue Tag beginnt, danke ich für diese stillen Momente der Verbundenheit.
Lass mich spüren, dass ich nicht allein bin in diesem Morgen – dass Menschen überall auf der Erde mit mir atmen, hoffen, beten. Öffne mein Herz für das große „Unser“, das uns alle trägt.
Hilf mir, diesen Tag bewusst als Teil der menschlichen Familie zu leben.
Amen.
PSALMTEXT
Der HERR ist mein Hirte, mir wird nichts fehlen.
Er lässt mich lagern auf grünen Auen und führt mich zum Ruheplatz am Wasser.
Er macht mich wieder stark und führt mich auf rechten Wegen um seines Namens willen.
Muss ich auch wandern in finsterer Schlucht, ich fürchte kein Unheil.
Denn du bist bei mir, dein Stock und dein Stab geben mir Halt.
Du deckst mir den Tisch vor den Augen meiner Feinde.
Du salbst mein Haupt mit Öl, mein Becher fließt über.
Lauter Güte und Gnade werden mir folgen mein Leben lang,
und im Haus des HERRN werde ich wohnen für alle Zeit.
Psalm 23,1-6 (BasisBibel)
SEGEN
Es segne dich der Gott, der in jedem „Unser“ wohnt und dich mit Menschen verbindet, die du noch nie gesehen hast.
Es segne dich die Gewissheit, dass du Teil eines weltweiten Chores der Hoffnung bist, der niemals verstummt.
Es segne dich die Kraft, die entsteht, wenn du dich bewusst als Teil der menschlichen Familie verstehst.
So gehe gesegnet in diesen Tag – getragen von dem unsichtbaren Netz der Verbundenheit, das uns alle umspannt.
FRAGEN ZUR VERTIEFUNG
- Die Perspektive des unsichtbaren Chores: Wenn Sie sich vorstellen, dass gerade jetzt Menschen überall auf der Welt dieselben Worte beten wie Sie – was verändert sich in Ihrem Gefühl der Verbundenheit? Welche Person in Ihrem Leben würde am ehesten verstehen, was Sie gerade durchmachen?
- Das kleine Wort mit großer Wirkung: Jesus wählte bewusst „unser“ statt „mein“ Vater. Wo in Ihrem Leben könnten Sie ein „Ich“ durch ein „Wir“ ersetzen? Wie würde sich Ihr Blick auf eine aktuelle Herausforderung verändern, wenn Sie sie als Teil eines größeren „Unser“ betrachten?
- Verbundenheit als Heilkraft: Der Text beschreibt das „Unser“ als Medizin für die Seele. Wenn Sie an Momente denken, in denen Sie sich besonders verbunden gefühlt haben – was hat diese Verbundenheit in Ihnen bewirkt? Wie können Sie diese heilsame Erfahrung bewusst in Ihren Alltag integrieren?