16. Juli 2025 „Vater“ – Zwischen Sehnsucht und Verletzung. Der geistliche Impuls zur Wochenmitte
Impuls zur Vaterunser-Reihe: „Zwischen Himmel und Herz“Wochenmitte am 16. Juli 2025 „Vater unser im Himmel…“ Diese ersten Worte des bekanntesten Gebets der Welt sind für viele von uns nicht einfach nur fromme Routine. Sie berühren etwas tief in uns. Manchmal zärtlich, manchmal schmerzhaft. Denn das Wort „Vater“ trägt in sich die ganze Bandbreite menschlicher Erfahrung:…
Impuls zur Vaterunser-Reihe:
„Zwischen Himmel und Herz“
Wochenmitte am 16. Juli 2025
„Vater unser im Himmel…“
Diese ersten Worte des bekanntesten Gebets der Welt sind für viele von uns nicht einfach nur fromme Routine. Sie berühren etwas tief in uns. Manchmal zärtlich, manchmal schmerzhaft. Denn das Wort „Vater“ trägt in sich die ganze Bandbreite menschlicher Erfahrung: die Sehnsucht nach Geborgenheit ebenso wie die Erinnerung an Enttäuschung, an Abwesenheit, vielleicht sogar an Gewalt.
Jesus wusste das. Als er seine Jünger lehrte, Gott mit „Abba“ anzureden – einem aramäischen Wort, das etwa unserem „Papa“ entspricht –, war das ungewöhnlich. Nicht etwa, weil niemand vor ihm Gott als Vater angesprochen hätte. Ungewöhnlich war die Selbstverständlichkeit, mit der Jesus diese Beziehung lebte und lehrte.
Stellen Sie sich vor: Ein orientalischer Patriarch läuft nicht. Er wartet würdevoll, bis man sich ihm nähert. Aber im Gleichnis vom verlorenen Sohn zeigt Jesus uns einen Vater, der alle Konventionen sprengt. Er zerreißt das Korsett aller Erwartungen und rennt seinem Kind entgegen.
„Schon von weitem sah der Vater ihn kommen.
(Das Gleichnis vom verlorenen Sohn. Lukas 15,20, BasisBibel)
Er hatte Mitleid mit seinem Sohn.
Er lief ihm entgegen, fiel ihm um den Hals und küsste ihn“
Hier ist ein Vater, der nicht auf seine Würde pocht, sondern auf die Liebe setzt. Ein Vater, der nicht straft, sondern feiert. Ein Vater, der nicht die Moral predigt, sondern die Freude über die Heimkehr.
Für viele ist das heilsam. Gerade für Menschen, die schwierige Vatererfahrungen gemacht haben, kann die Begegnung mit diesem anderen Vaterbild transformativ sein. Es geht nicht darum, schmerzhafte Erfahrungen zu verdrängen oder zu verharmlosen. Es geht darum, zu entdecken, dass es jenseits menschlicher Unzulänglichkeit eine Quelle der Liebe gibt, die nie versiegt.
Aber Jesus wusste auch um die Grenzen dieses Bildes. Die Bibel ist voller Metaphern für Gott: Gott als Mutter, die tröstet („Ich will euch trösten, wie eine Mutter ihr Kind tröstet“, Jesaja 66,13, BasisBibel), als Fels, als Quelle, als Licht.
Das Bilderverbot des Alten Testaments mahnt uns:
Gott ist größer als unsere Bilder.
Das Vaterbild ist ein Fenster,
nicht die ganze Wirklichkeit.
Was bedeutet Ihnen das Vaterbild?
Es kann Heimat sein für die, die gute Vatererfahrungen gemacht haben.
Es kann Herausforderung sein für die, die mit diesem Bild kämpfen.
Es kann Verheißung sein für die, die es als Fenster zu einer größeren Wirklichkeit verstehen.
Das Vaterunser beginnt nicht mit einem Dogma, sondern mit einer Einladung. Wir dürfen „Vater“ sagen – oder „Mutter“, „Quelle“, „Kraft“. Wir dürfen uns bergen lassen in dem, was größer ist als unsere Angst, stärker als unsere Sorge, tragfähiger als unsere Zweifel.
Das Vaterunser ist ein Gebet der Fragen, nicht der Antworten. Es lädt uns ein, zu entdecken, zu zweifeln, zu vertrauen. Es lädt uns ein, unsere eigenen Bilder zu finden – und sie auch wieder loszulassen, wenn sie zu eng geworden sind.
Inspiriert hat mich zu meinen Gedanken der Beitrag von Evelyne Baumberger zum Beginn des Vaterunsers.
Wochenmitte
ABENDGEBET
Du, der du größer bist als alle unsere Bilder und Worte,
wir danken dir für diesen Tag mit seinen Höhen und Tiefen.
Wir legen in deine Hände, was uns bewegt und beschäftigt, unsere Sorgen und unsere Hoffnungen.
Lass uns in der Stille der Nacht spüren: Wir sind gehalten von einer Liebe, die nie aufhört.
Gib uns einen erholsamen Schlaf und lass uns morgen mit neuer Kraft erwachen.
Amen.
SEGEN
Gott segne dich mit dem Vertrauen, dass du gehalten bist – von einer Liebe, die größer ist als alle menschlichen Bilder.
Gott segne dich mit der Gewissheit, dass du angenommen bist – so wie du bist, mit deinen Fragen und deinen Zweifeln.
Gott segne dich mit der Hoffnung, dass du geborgen bist – in dem Namen, der für dich Heimat bedeutet.
So segne dich der lebendige Gott, der Vater und Mutter zugleich ist,
der Freund und Quelle des Lebens, heute und alle Tage.
Amen.
FRAGEN ZUM NACHDENKEN,
FÜRS TAGEBUCH
ODER EIN GESPRÄCH
1. „Wenn das Wort ‚Vater‘ für Sie schwierig ist – welches andere Bild oder welche andere Anrede für das Göttliche gibt Ihnen Kraft und lässt Sie aufatmen? Was ist es an diesem Bild, das Sie nährt und stärkt?“
2. „Angenommen, Sie würden das Vaterunser für sich persönlich umschreiben und mit einem Bild beginnen, das Ihnen entspricht – wie würde Ihr Gebet dann lauten? ‚Mutter unser…‘, ‚Quelle des Lebens…‘, ‚Du, der du mich hältst…‘ – welche Worte würden sich für Sie richtig anfühlen?“
3. „Wenn Sie an einen Moment denken, in dem Sie sich von Gott getragen und geborgen gefühlt haben – war da eher ein väterliches, ein mütterliches Bild spürbar, oder war es etwas ganz anderes? Und was macht für Sie den Unterschied zwischen einem Gottesbild, das Sie einengt, und einem, das Sie befreit?“