Stell Dir Spiritualität wie ein keltisches Sonnenkreuz vor:
Zwei Linien – waagrecht und senkrecht – treffen sich in der Mitte. Um sie legt sich ein Kreis, der alles verbindet. Dieses Bild hilft zu verstehen, was Spiritualität ausmacht.

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Die horizontale Linie – was ich gestalten kann
Das ist der Bereich, den wir selbst formen. Unsere Rituale. Unsere Worte. Unsere Aufmerksamkeit.
Es kann ein stiller Moment am Morgen sein, ein Tischgebet, ein Segenswort am Bett. Es kann das Lesen eines Textes sein, ein Spaziergang mit offenem Herzen oder das Anzünden einer Kerze in der Kapelle.
Manche finden Halt im täglichen Gebet oder in der Meditation. Andere suchen wöchentliche Rhythmen – etwa einen Gottesdienstbesuch oder den Austausch in einer Gruppe. Wieder andere brauchen Zeiträume im Jahr, um sich zu sammeln: eine Pilgerreise, Tage im Kloster, eine stille Auszeit in der Natur.
Wesentlich ist nicht die Form – sondern dass sie uns gut tut. Dass sie uns hilft, in Verbindung zu bleiben mit dem, was unser Leben trägt.
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Die vertikale Linie – was mich berührt
Es gibt Erfahrungen, die wir nicht machen, sondern die uns geschehen.
Wir stellen sie nicht her. Diese Erfahrungen sind Geschenk. Oder Erschütterung.
Wenn wir plötzlich die Kostbarkeit des Lebens spüren.
Wenn bei der Geburt eines Kindes ein heiliger Moment aufscheint.
Wenn mitten im Leid ein Wort wie Balsam wirkt.
Wenn uns eine Erfahrungen, ein Moment, ein Ereignis tief berührt, vielleicht sogar erschüttert.
Diese Erfahrungen öffnen innere Türen. Sie gehen unter die Oberfläche. Sie bringen uns in Berührung mit einer Wirklichkeit, die wir nicht kontrollieren können.
In der christlichen Tradition sprechen wir vom Heiligen Geist: einer Kraft, die tröstet, stärkt und überrascht – unplanbar, aber spürbar. Wie ein leiser Wind oder wie ein kräftiger Sturm, der plötzlich durch den Alltag zieht.
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Der Kreis, der beides umschließt – was mir Deutung gibt
Um die beiden Linien legt sich ein Kreis. Er verbindet das, was wir gestalten, mit dem, was uns geschenkt wird.
Dieser Kreis steht für die Tradition, in der wir leben: für Religion, für Gemeinschaft, für Geschichten, die Orientierung geben.
Spiritualität gibt es in allen Kulturen und Weltanschauungen. Sowohl die spirituellen Rituale wie auch die tiefen Erfahrungen. Aber es braucht Sprache, um sie zu verstehen, zu deuten und weiterzugeben. Es braucht Bilder, Lieder, Worte und Rituale. Zusammenhänge. Ohne sie bleibt Spiritualität stumm.
Für viele Menschen bietet Religion diese Sprache. Sie stellt Worte zur Verfügung, Gebete, Erzählungen. Sie verbindet das Persönliche mit einer größeren Geschichte.
Und doch: Der Kreis ist durchlässig. Horizontale und Vertikale gehen darüber hinaus.
Spirituelle Erfahrung lässt sich nie ganz erklären. Sie bleibt ein Geheimnis.
Aber sie wird verstehbarer, wenn wir sie teilen – mit anderen. Mit Hilfe der Erfahrungen, Worte, Lieder und Gebete derer, die vor uns gelebt haben. Mit ihrer Religion.