25. Juni Wochenmitte

Die Kunst der Fürsorge für sich selbst

Die Kollegin fragt, ob ich heute Mittag Zeit für einen Kaffee habe. Eigentlich nicht – mein Terminkalender ist voll, drei Deadlines drängen, und zu Hause wartet auch noch einiges. Aber sie wirkt angespannt, braucht vielleicht jemanden zum Reden. Also sage ich zu und schiebe meine Pausen wieder nach hinten.

Abends bin ich erschöpft. Wieder mal. Für andere da sein – das kenne ich gut. Aber wann bin ich eigentlich für mich selbst da?

Jesus sagt: »Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.« (Matthäus 22,39, BasisBibel) Wir hören oft nur die erste Hälfte dieses Satzes. Liebe deinen Nächsten – das ist die Aufgabe, die wir ernst nehmen. Aber der zweite Teil ist genauso wichtig: wie dich selbst.

Wie liebst du dich selbst? Die Frage überrascht uns vielleicht. Selbstliebe klingt nach Egoismus, nach Narzissmus. Aber Jesus meint etwas anderes. Er setzt voraus, dass wir uns selbst mit Verständnis und Fürsorge begegnen. Dass wir unsere Grenzen respektieren. Dass wir uns Ruhe gönnen, wenn wir müde sind. Dass wir uns selbst die Nachsicht zeigen, die wir anderen automatisch schenken.

Du würdest einem Freund nicht raten, sich bis zur Erschöpfung zu überarbeiten. Du würdest ihm nicht sagen, er solle seine Bedürfnisse ignorieren. Du würdest verstehen, wenn er mal eine Pause braucht. Genau diese Haltung ist gemeint, wenn Jesus sagt: wie dich selbst.

Selbstliebe beginnt mit kleinen Schritten. Dem ehrlichen Blick in den Spiegel am Morgen: Heute schaffe ich, was ich schaffe. Dem Nein, das manchmal nötig ist. Der Tasse Tee, die du in Ruhe trinkst. Dem Spaziergang nach Feierabend, statt noch schnell etwas zu erledigen.

Es ist kein Zufall, dass Jesus Selbstliebe und Nächstenliebe zusammendenkt. Wer sich selbst mit Härte begegnet, wird auch anderen gegenüber ungeduldig. Wer sich keine Schwäche erlaubt, erwartet Perfektion von anderen. Wer sich selbst keine Ruhe gönnt, wird andere unter Druck setzen.

Aber wer gelernt hat, sich selbst zu verstehen, wird auch anderen mit Verständnis begegnen. Wer die eigenen Grenzen respektiert, wird die Grenzen anderer achten. Wer sich selbst vergeben kann, wird auch anderen vergeben können.

Vielleicht ist das der Schlüssel: Selbstliebe nicht als Gegensatz zur Nächstenliebe zu sehen, sondern als ihre Grundlage. Wie dich selbst – das ist nicht die Einschränkung der Nächstenliebe, sondern ihr Maßstab.

Morgen wird wieder ein voller Tag sein. Aber du kannst ihn anders angehen. Mit der Frage: Was brauche ich heute, um gut für mich und andere da zu sein? Manchmal ist die beste Art, anderen zu helfen, erst einmal bei sich selbst anzufangen.


Impuls zum Tagesrückblick: Räume der Liebe entdecken

Lass den Tag noch einmal an dir vorüberziehen – nicht als Kontrolle oder Bewertung, sondern als achtsame Spurensuche.
Hier sind zwei Fragen fürs Meditieren, das Tagebuch oder das vertraute Gespräch

1. **Wenn du dir vorstellst, dass ein guter Freund genau dein Leben mit all seinen Herausforderungen leben müsste – welchen Rat würdest du ihm geben, wie er mit sich umgehen sollte?**

2 **Woran würden die Menschen, die dir nahestehen, merken, dass du angefangen hast, dich selbst so zu lieben, wie Jesus es meint?**


Gebet zum Abschluss des Tages:
„Gott, am Ende dieses Tages danke ich dir für alle Begegnungen, für die Möglichkeit zu helfen und da zu ein.
Vergib mir, wo ich mich selbst vergessen habe, wo ich über meine Grenzen gegangen bin.
Lass mich lernen, mich selbst mit den Augen deiner Liebe zu sehen – nicht perfekt, aber geliebt.
Schenke mir eine ruhige Nacht und die Kraft, morgen beides zu leben: die Liebe zu anderen und die Liebe zu mir selbst.
Amen.

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