Die Bibel mit den Augen der Liebe lesen.
Eine kleine Lesehilfe um die Bibel zu entdecken.
Sie kennen das vielleicht. Da sitzt man mit der aufgeschlagenen Bibel und ringt mit einem Text. Jedes Wort scheint wichtig, jeder Satz ein Gebot. Die Buchstaben werden zu Ketten, die binden statt befreien. Manchmal wird die Schrift, die uns eigentlich Leben schenken will, zur Last.
Es ist verständlich, wenn Sie sich in solchen Momenten fragen: Mache ich etwas falsch? Verstehe ich die Bibel nicht richtig?

Jesus – das Herz der Heiligen Schrift
Was, wenn wir die Bibel anders lesen könnten? Nicht als Regelwerk, sondern als Liebesgeschichte? Jesus selbst zeigt uns den Weg. Als die Pharisäer ihn mit Gesetzesfragen bedrängen, antwortet er klar:
„Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen.
(Mt 22,37–39, BasisBibel)
Und deinen Nächsten
wie dich selbst.“
Das ist der Schlüssel. Alles andere muss sich daran messen lassen. Auch die schwierigen Texte. Auch die, die uns verwirren oder belasten. Dieses Gebot ist das Fundament, auf dem die anderen biblischen Texte stehen. Es ist die Grundlage, von der aus die Texte zu lesen sind.
Als Christ glaube ich: Jesus steht in der Mitte der Schrift, weil sich in seinem Leben und Wirken Gottes Liebe zeigt. Wer biblische Worte verstehen will, sollte fragen: Fördert diese Auslegung das Leben, den Respekt und die Liebe zu Gott und zum Mitmenschen? Nur dann entspricht sie dem Geist Jesu.
Den ganzen Text hören
Einzelne Verse können irreführen. Sie brauchen ihre Geschwister – die Sätze davor und danach.
„Richtet nicht“, steht in Matthäus 7,1. Klingt absolut. Aber lesen Sie weiter: „Zieh zuerst den Balken aus deinem Auge.“ (V. 5) Jesus verbietet nicht jedes Beurteilen von Lebenssituationen. Er warnt vor dem heuchlerischen Umgang damit.
Die Schrift spricht in Zusammenhängen, nicht in isolierten Textfetzen. Wenn Sie das nächste Mal vor einem schwierigen Bibeltext stehen, fragen Sie sich: Was steht davor und danach? Worum geht es in dem ganzen Kapitel?
Seien sie skeptisch, wenn Menschen allzu selbstbewußt mit einzelnen, aus dem Zusammenhang gerissenen Bibelstellen ihre Meinung untermauern wollen.
Wenn Kulturen aufeinanderprallen
Die Bibel entstand in fremden Welten. Nomadenkulturen, antike Städte, andere Sitten, andere Nöte. Das Verbot von Schweinefleisch im Alten Testament machte damals Sinn – in einer Zeit ohne Kühlschränke war es lebensrettend. Schweinefleisch übertrug in der Hitze des Nahen Ostens gefährliche Krankheiten.
Auch wenn sich unsere Lebensumstände verändert haben: der zeitlose Kern bleibt.
Gott will Leben schützen.
Heute wissen wir, wie Fleisch sicher zubereitet wird, auch wenn es in unserem Kulturkontext andere Gründe geben mag, weniger oder kein Fleisch zu essen.
Nicht jede Form ist ewig, aber die Liebe dahinter schon.
Vielleicht fragen Sie sich gerade: „Aber woher weiß ich, was zeitlos ist und was kulturell bedingt?“
Eine gute Frage.
Prüfen Sie:
Dient diese Regel heute
noch dem Leben?
Schützt sie Menschen?
Stärkt sie die Liebe?
Die Bibel im Gespräch mit sich selbst
Die Heilige Schrift ist vielstimmig. Psalm 137 schreit nach Rache an den Feinden. Jesus sagt: „Liebt eure Feinde“ (Mt 5,44). Der Psalm gibt dem Schmerz Raum. Jesus zeigt den Weg darüber hinaus.
Im Licht Jesu erkennen wir: Die Liebe steht höher als die Vergeltung.
Die Kunst des Übertragens
Das Apostelkonzil war eine Versammlung der ersten Christinnen und Christen in Jerusalem. Dort wurde beraten, ob auch Nichtjuden sich an alle jüdischen Gesetze halten müssen. Das Apostelkonzil in Apostelgeschichte 15 zeigt, wie schon Menschen in der Bibel um den richtigen Weg gerungen haben. Die ersten Christen streiten über die Gültigkeit einiger Gebote aus dem ersten, dem sogenannten Alten Testament. Die Gemeinde berät, hört Erfahrungen, sucht einen Weg. Am Ende siegt nicht das starre Gesetz, sondern eine Lösung, die Leben fördert.
So dürfen auch wir fragen: Was bedeutet dieser Text heute? Wie hilft er, Leben zu schützen, Würde zu bewahren, Liebe zu stärken? Diese Fragen haben Berechtigung – sie sind nicht Ausdruck von Glaubensschwäche, sondern von Verantwortung.
Ein modernes Beispiel: Wenn die Bibel dazu aufruft, „einander zu vergeben“ (Epheser 4,32), wie übertragen wir das in die Welt der sozialen Medien? Bedeutet das, jeden hasserfüllten Kommentar zu tolerieren? Oder kann Vergeben auch bedeuten, sich vor digitaler Gewalt zu schützen, Grenzen zu setzen und trotzdem nicht in Hass zu verfallen? Bei Arbeitsplatzkonflikten könnte „die andere Wange hinhalten“ (Matthäus 5,39) nicht bedeuten, sich dauerhaft ausnutzen zu lassen, sondern mit Würde und ohne Verbitterung für faire Behandlung einzustehen.
Was bedeutet dieser Text heute?
Wie hilft er,
Leben zu schützen,
Würde zu bewahren,
Liebe zu stärken?
Diese Fragen sind Ausdruck von Verantwortung.
Der Ruhetagsgebot und die Liebe
Jesus selbst durchbricht starre Regeln, wenn Menschen leiden. Am Sabbat heilt er, obwohl es „verboten“ ist. Seine Begründung: „Der Sabbat ist um des Menschen willen gemacht“ (Mk 2,27). Das Gesetz dient dem Leben, nicht umgekehrt.
Wo Regeln das Leben ersticken, da spricht Jesus sein befreiendes Wort.
Nicht alle biblischen Fragen lassen sich einfach lösen. Manchmal müssen wir mit dem Geheimnis leben.
Gemeinsam auf dem Weg
Die Schrift will nicht einsam gelesen werden. Sie entfaltet sich im Gespräch, in der Gemeinschaft. Tauschen Sie sich aus. Mit anderen, die ebenfalls suchen. Mit solchen, die andere Erfahrungen gemacht haben.
Prüfen Sie gemeinsam: Entspricht unsere Auslegung dem Geist Jesu? Macht sie frei oder bindet sie? Und haben Sie Mut zur Ehrlichkeit: Nicht alle biblischen Fragen lassen sich einfach lösen. Manchmal müssen wir mit dem Geheimnis leben – aber niemals mit der Angst vor einem lieblosen Gott.
Erlauben Sie sich auch Pausen: Wer ein Feld pflügt, wird um einen zu großen Stein einfach herumpflügen. Das heißt: Es ist in Ordnung, wenn Sie schwierige Bibeltexte vorerst beiseitelassen. Biblische Texte haben ihre Zeit – die Zeit und der Kontext in dem sie entstanden sind (und der ist uns heute manchmal fremd) – und die Zeit, in der sie für einen persönlich wichtig werden (was nicht immer passieren muss).
Ein Wort zum Schluss
Jesus ist das Herz der Schrift. Die Liebe ist die Brille, durch die wir alle Texte betrachten dürfen. So lesen Sie die Bibel treu – nicht nur am Buchstaben klebend, sondern im befreien Geist dessen, der gesagt hat: „Ich bin gekommen, damit sie das Leben haben und es in Fülle haben“ (Joh 10,10).
Die Schrift will Sie nicht gefangen nehmen.
Sie will Sie frei machen für die Liebe, für das Leben.
Bibellesen soll und kann Inspiration und Ermutigung zum Leben sein.