Vierter Gedankengang
zur Vaterunser-Reihe:
„Im Himmel“
Wochenmitte am 23. Juli 2025
Einstieg: Himmel oder Hölle – eine Frage von Pink Floyd
„So you think you can tell heaven from hell“ –
Denkst du, du kannst Himmel und Hölle unterscheiden?
Diese Zeile aus dem Pink Floyd-Song „Wish You Were Here“ trifft einen wunden Punkt.
Was ist eigentlich Himmel, was ist Hölle?
Ist das so leicht zu unterscheiden: hier das Gute, dort das Böse – hier Gott, dort das Nichts?
Vielleicht liegt die Sache komplizierter.
Vielleicht sind Himmel und Hölle näher beieinander als wir denken.
Vielleicht tragen wir sogar beides in uns.
2. Was Jesus mit „Himmel“ meint
Diese Frage führt uns direkt zu Jesus und seinem Verständnis vom Himmel.
Wenn Jesus betet: „Vater unser im Himmel“, sagt er im Aramäischen, also seiner Muttersprache, „bishmayya“.
Das Besondere: Dieses Wort steht in der Mehrzahl – nicht der eine Himmel irgendwo da oben, sondern Himmel in vielen Dimensionen.
Wörtlich also: „Vater unser in den Himmeln“.
Im Englischen gibt es eine hilfreiche Unterscheidung: „sky“ meint den sichtbaren Himmel über uns, „heaven“ steht für die göttliche Wirklichkeit.
Im Deutschen sprechen wir für beides einfach vom „Himmel“ – und geraten leicht auf die falsche Fährte.
Denn Jesus meint nicht die Wolken über uns, sondern eine göttliche Realität,
die uns umgibt, in uns lebt
und durch uns hindurchwirkt.
3. Der Himmel in meiner Seele: Augustinus‘ Entdeckung
Schon vor fast 1700 Jahren erkannte der Kirchenvater Augustinus etwas Überraschendes:
Der Himmel – das sind die „Herzen der Gerechten“.
Damit meint er nicht die Herzen der Perfekten, sondern der Menschen, die sich nach Gott ausstrecken.
Paulus drückt es noch direkter aus: Gott legt seinen Schatz in „irdene Gefäße“ – in etwas Zerbrechliches, Unvollkommenes.
Himmel – das ist nicht ein Ort hinter den Sternen,
sondern ein Raum in uns, in dem Gott wohnt – gerade weil wir brüchig sind,
Lebens-Fragmente.
Weil, nicht obwohl.
Das ist keine romantische Idee, sondern eine spirituelle Erfahrung, die Menschen aller Zeiten gemacht haben.
Ein innerer Ort der tiefsten Verbindung mit dem Göttlichen – nicht „sky“, sondern „heaven“, ganz nah bei mir.
4. Wo spüre ich diesen Himmel?
Doch wie finde ich diesen Himmel in mir?
Wo merke ich: Gott wohnt in meiner Seele?
Vielleicht kennen Sie solche Momente aus Ihrem Leben:
Momente der Stille, in denen etwas in Ihnen aufatmet.
Wenn Sie spüren: Ich bin nicht allein.
Wenn Frieden in Ihr Herz kommt, ohne dass sich draußen etwas ändern muss.
In der Liebe, die stärker ist als Ihre Angst.
In der Vergebung, die Sie sich nie zugetraut hätten.
In der Hoffnung, die trotz allem bleibt.
Manchmal auch in dunklen Zeiten, wenn Sie erahnen: Da ist noch etwas Tieferes in mir als der Schmerz.
5. Raum schaffen für den Himmel
Wie können Sie solchen Momenten mehr Raum geben?
Wie können Sie Platz machen für den Himmel?
Der große Mystiker Johannes vom Kreuz sprach von der „Nacht der Seele“ –
der Einladung,
alte Bilder und Vorstellungen loszulassen,
damit Neues wachsen kann.
Manchmal heißt das: innerlich aufräumen.
Überholte Gottesbilder verabschieden.
Nicht alles kontrollieren müssen.
Vielleicht beginnt es mit einfachen Schritten: Stille aushalten, ohne sie gleich zu füllen. Dem eigenen Atem zuhören – dem Rhythmus des Lebens. Dankbar sein für kleine Schönheiten. Ehrlich werden gegenüber sich selbst. Das sind keine großen Taten, aber sie öffnen Türen nach innen.
6. Gott will wohnen, nicht beeindrucken
„Wie kann Gott in mir wohnen?“ – das ist keine Frage der Leistung.
Gott zieht nicht erst dann ein, wenn Sie perfekt sind.
Er ist längst da. Sie müssen ihn nur entdecken.
Stellen Sie sich vor, Sie leben in einem Haus,
aber haben nie alle Räume betreten.
Sie kennen vielleicht das Erdgeschoss gut –
doch da gibt es noch mehr zu entdecken.
In diesen unbekannten Räumen Ihrer Seele
wartet Gott schon.
Still. Geduldig. Ohne Eile.
Wie ein guter Freund, der einfach da ist, bis Sie Zeit zum Reden haben.
7. Himmel und Hölle sind oft nah beieinander
Zurück zur Pink Floyd-Frage: Tatsächlich lassen sich Himmel und Hölle nicht sauber trennen.
In der dunkelsten Verzweiflung kann plötzlich Licht aufblitzen.
In großer Freude kann die Ahnung von Vergänglichkeit mitschwingen.
Der Himmel ist kein perfekter Ort für perfekte Menschen – er ist Gottes Gegenwart mitten im brüchigen Leben.
8. Einladung: Den Himmel in mir entdecken
„Vater unser im Himmel“ – das ist kein Blick nach oben, sondern eine Einladung, nach innen zu schauen.
Den Raum in Ihrer Seele zu entdecken, in dem Gott wohnt.
Ein Weg, kein einmaliges Ziel.
Ein Prozess, Tag für Tag.
Nicht, um etwas zu erreichen.
Sondern um zu spüren: Da ist mehr in mir, als ich geahnt habe.
Ein Raum, der größer ist als meine Sorgen.
Ein Himmel, der schon da ist – und nur darauf wartet, entdeckt zu werden.
FRAGEN ZUR VERTIEFUNG
Hier ein paar weiterführende Fragen.
Für die persönliche Meditation,
das Tagebuch
oder ein gutes Gespräch:
- „Gibt es einen Ort – innen oder außen – wo Sie sich richtig ‚zuhause‘ fühlen? Einen Ort, wo Sie ganz Sie selbst sein können? Was macht diesen Ort zu einem ‚heiligen‘ Raum für Sie? Welche Eigenschaften dieses äußeren Ortes tragen Sie vielleicht bereits in sich?“
- „Wenn Sie sich vorstellen, Ihre Seele wäre ein Haus: Auf einer Skala von 1-10 – wie viele Räume haben Sie bisher erkundet? Welchen Raum in sich würden Sie gerne als nächstes betreten? Was glauben Sie, würde jemand, der Sie sehr gut kennt, über diesen ungenutzten Raum in Ihnen sagen?“
- „Angenommen, Sie wachen morgen auf und können plötzlich ganz selbstverständlich ‚Platz schaffen für den Himmel in sich‘ – woran würden Sie als erstes merken, dass sich etwas verändert hat? Wie würde sich Ihr Tag anfühlen? Was würden andere Menschen an Ihnen bemerken?“
SONNTAGSWEITE
UND WOCHENMITTE
GEBET
Gott, du Geheimnis in mir,
ich spüre dich manchmal wie einen warmen Atemzug
in der Tiefe meiner Seele.
Hilf mir, Platz zu schaffen für dich –
nicht durch Perfektion, sondern durch Offenheit.
Lass mich die Räume in mir entdecken,
die ich noch nie betreten habe.
Zeige mir den Himmel in meiner Seele,
der schon da ist, bevor ich ihn suche.
Amen.
MODERNE PSALMMEDITATION
Psalm vom Himmel in mir
Du bist näher als mein eigener Herzschlag,
und doch ferne wie die Sterne.
In der Stille meiner Seele
höre ich dich atmen.
Wenn die Welt zu laut wird,
führst du mich nach innen –
zu dem Ort, wo Frieden wohnt,
auch wenn außen Sturm ist.
Du bist nicht nur über mir,
du bist in mir.
Nicht nur im Licht,
auch in meiner Dunkelheit.
Lass mich heute spüren:
Der Himmel ist nicht weit.
Er ist so nah wie mein nächster Atemzug,
so real wie meine Sehnsucht nach dir.
SEGEN
Der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft,
wohne in den stillen Räumen deiner Seele.
Die Liebe Christi, die tiefer reicht als alle Verletzung,
erschließe dir den Himmel in deinem Herzen.
Die Kraft des Heiligen Geistes, die sanfter ist als alle Gewalt,
schaffe Platz in dir für das Göttliche.
So segne dich der dreieinige Gott –
nicht nur von oben herab,
sondern von innen heraus.
Amen.