Predigt zu „Lady in black“ und Engel als Hoffnungsboten


I. Die Lady in Black erscheint

Es ist das Jahr 1971.
Die Rockband Uriah Heep landet mit „Lady in Black“ ihren größten Erfolg.

Ken Hensley, der Keyboarder, erzählte später (so ist die „Bandlegende“):
An einem stillen Sonntagmorgen sah er von seinem Hotelzimmer aus eine Frau.
Ganz in schwarz gekleidet.
Aufrecht, fast majestätisch schritt sie die Straße entlang.

Ihre Erscheinung inspirierte ihn.
Diese Frau in Schwarz, aufrecht und still.
Sie schien aus einer anderen Welt zu kommen.

Er setzte sich hin und schrieb die ersten Zeilen zu diesem Lied.

In diesem Song begegnet ein Mensch in seiner Verzweiflung einer geheimnisvollen Frau.
Sie gibt ihm Rat.
Sie symbolisiert Hoffnung, Freundlichkeit und Weisheit – im Gegensatz zur Zerstörung, die ihn umgibt.

Sie ist eine Hoffnungsgestalt in dunklen Zeiten.

Und davon möchte ich heute sprechen.



II. Die Botschaft: Gewalt sät Gewalt

In dieser Zeit des Jahres steht für viele von uns der Gedanke an Frieden im Vordergrund.
Volkstrauertag, Buß- und Bettag.
Die Erinnerung an die Pogromnacht.
Wichtige Gedenktage, die uns in den kommenden Wochen begleiten.
Aber: in diesen Wochen geht es in vielen biblischen Texten auch um Engel.

Und genau davon handelt dieser Song.

Die Lady in Black will nicht an Kampf denken.
An etwas, das Menschen ihre Menschlichkeit nimmt.
Das so leicht beginnt – und kaum mehr zu beenden ist.

Ken Hensley singt davon, wie Gewalt Menschen verändert.
Wie schnell Hass gesät ist.
Und wie schwer es ist, wieder Frieden zu finden.

Das kennen wir auch aus unserem persönlichen Umfeld:
Wie leicht ist ein Streit entflammt.
Wie schwer ist es, ihn zu beenden.
Wie schnell sind Gewalt und Hass gesät.
Wie schwer ist es, Versöhnung zu stiften.

In diesem Song will jemand seine Feinde vernichten.
Soviel Gewalt ist in seinem Herzen.
Aber er spürt: Eigentlich geht er in der Dunkelheit.

Und dann begegnet ihm diese Frau in Schwarz.
Sie rät ihm davon ab.
Gewalt sät neue Gewalt.
So einfach zu beginnen, schier unmöglich zu beenden.

Sie ermutigt ihn, ihr zu vertrauen.
Ihre Worte geben ihm die Kraft, einen anderen Weg zu suchen.

In unseren Tagen wünsche ich mir diese Besonnenheit.
Die nicht dem Ruf der Rache folgt, sondern andere Wege sucht.



III. Wer inspiriert uns?

Dieser Song lässt mich darüber nachdenken:
Wer inspiriert uns in unserem Leben?

Vielleicht nicht unbedingt eine Lady in Black.
Aber gab es Menschen, die uns daran erinnern, was wichtig ist?
Und was unwichtig?

Menschen, die uns liebevoll, aber konsequent hinterfragen?
Die uns auf einen Weg bringen, der neue Kraft gibt?

Manchmal sind es Weggefährten auf Zeit.
Manchmal müssen es auch keine Menschen sein.

Es sind Lieder.
Worte, die uns jemand sagt.
Ein Buch, das uns begleitet.

Für ein Stück Weg leuchtet ein Licht auf, das einen Weg zeigt – heraus aus unserer Dunkelheit.

Am Ende des Songs bleibt eine Hoffnung:
Vielleicht begegnet auch uns so eine Gestalt.
Ein Mensch, ein Wort, ein Moment – der uns auf einen anderen Weg bringt.

Weg von der Gewalt.
Hin zur Versöhnung.



IV. Die biblische Tiefe: Engel als Lebensboten

Die Bibel erzählt von solchen Begegnungen.
Von Menschen, die plötzlich auf einen anderen Weg kommen.

Oft spricht sie dabei von Engeln.

Nein, nicht die Männer mit Flügeln aus dem Barockgemälde.
Sondern Boten der Gotteskraft.
Menschen, Worte, Begegnungen – die unser Leben auf eine neue Spur setzen.

Da ist Abraham, der drei Männer bewirtet.
Fremde, die ihm eine Botschaft bringen.
Erst später ahnt er: Das war mehr als ein Besuch.

Da ist Jakob, der nachts am Fluss um sein Leben ringt.
Mit einem, den er nicht sehen kann.
Bis der Morgen kommt – und er verwandelt ist.

Da ist Maria, die einen Gruß hört.
„Fürchte dich nicht.“
Und ihr Leben ändert sich für immer.

So verstehe ich die Engel der Bibel:
Boten des Lebens.
Die uns inspirieren.
Die uns manchmal – zum Glück – im Weg stehen.
Aber immer als Hoffnungsträger.

Keine Lichtgestalten aus einem anderen Universum.
Sondern Menschen, die uns stärken.
Tröstende Worte.
Ermutigende Begegnungen.
Inspirierende Lieder.

Engel können vieles sein:

Der Satz, der wieder Mut macht.
Der Mensch, der uns nicht von sich stößt.
Die Zeilen im Buch, die Wunden heilen.

Manchmal ein Hindernis, das uns zum Umdenken zwingt.
Manchmal ein Halt, an dem wir uns festhalten können.
Das Wunder, das wir nicht erwartet haben.

So verstehe ich auch diese Lady in Black.
Als eine Engelsgestalt.
Eine Hoffnungsbotin in dunklen Zeiten.

Ein katholischer Freund, selbst Priester, sagte einmal zu diesem Lied:
Für ihn sei es ein Song über Maria.
Sie ist diese Lady in black,
die einen Menschen begleitet und zum Frieden anstiftet.
Eine Inspiration, die sie Menschen geben kann.

Ich weiß nicht, ob der Papst diese Auffassung teilt.
Und als Protestant frage ich da auch mal nach.
Aber ich kann das gut stehen lassen.

Denn im Grunde geht es genau darum:
Um Begegnungen, die uns verwandeln.
Die uns neue Wege zeigen.
Die uns Mut machen.

Und ich wünsche den Kriegstreibern, den Hasserfüllten,
den Mutlosen und Verwirrten,
den Suchenden und Neugierigen –
ich wünsche ihnen einen solchen Engel.

Der sie erkennen lässt, wie kostbar Frieden ist.
Wie kostbar Hoffnung und Leben sind.

Und ich wünsche das auch mir.
Und Ihnen.



V. Das Einfache und das Besondere


Ein paar Gedanken zu einem Rocksong, die ich gerne mit Ihnen teilen wollte.

Übrigens: es wird ja immer behauptet,
dass Rockmuiker nur drei Akkorde spielen können.
Dieses Lied beweist, dass dies eine haltlose Unterstellung ist.
„Lady in Black“ kann man nur mit zwei Akkorden spielen.
Damit gehört dieses Lied zu den simpelsten Hits der Rockgeschichte.

Aber auch zu den besonderen.

Manchmal braucht es nicht viel.
Nur das Richtige zur richtigen Zeit.

Eine Begegnung.
Ein Wort.
Ein Lied.

Amen.



Fragen zur persönlichen Reflexion
für das eigene Nachdenken,
das Tagebuch
oder ein vertrauensvolles Gespräch

Meditativer Nachklang

Gott,

manchmal gehen wir in Dunkelheit.
Manchmal tragen wir Wut und Schmerz in uns.

Schick uns eine Begegnung,
die uns inne halten lässt.
Ein Wort, das uns Mut macht.
Einen Menschen, der uns zeigt:
Es gibt einen anderen Weg.

Lass uns Engel sein für die, die sie brauchen.

Und lass uns selbst welche finden,
wenn wir sie am nötigsten haben.

Amen.